Auch der lettische Rookie weiß, was er an seinem Teamkollegen hat. „Er macht das gesamte Spiel viel einfacher für mich“, sagt der lange Schlaks, der bis jetzt jeden „Rookie des Monats“-Award in der Eastern Conference gewonnen hat. „Die Defense konzentriert sich auf ihn, ich bekomme viel mehr Platz, und ich weiß, dass er mir den Ball gibt, wenn ich offen bin.“ Auch persönlich verstehen sich die beiden unterschiedlichen Charaktere gut. Melo weiß, dass er in gewisser Weise für den Rookie verantwortlich ist und ihn „beschützen“ muss. Keine Szene unterstreicht das wohl mehr als ein Vorfall in einem Spiel gegen die Atlanta Hawks Anfang Januar. Porzingis geriet bei einem Offensiv-Rebound mit Hawks-Guard Kent Bazemore aneinander. Bazemore bedrängte den Rookie, stand Stirn an Stirn vor ihm, doch im nächsten Moment trat Melo wie ein Bodyguard zwischen die beiden und stieß ihn von Porzingis weg. „Nichts kann zwischen uns kommen, und ich werde ihm, so gut ich kann, zur Seite stehen“, so Anthony. „Die Gegner werden ihn testen, und auch New York als Markt übt einen immensen Druck aus. Doch ich bin immer an seiner Seite. Und niemand stellt sich zwischen uns. Niemand.“
Mehr als ein überragender Scorer
Starke Worte von einem Spieler, der sich genau das am Anfang seiner Karriere gewünscht hätte. In Denver war Carmelo vom ersten Tag an der Superstar, der Spieler, der für die Hoch- wie Tiefpunkte verantwortlich gemacht wurde und der die Franchise und das Team auf seinen Schultern tragen musste. „Ich hatte damals niemanden, der den Arm um mich gelegt hat und mir gesagt hat, wie die Liga läuft“, erinnert sich Melo an seine ersten Spielzeiten in den Rocky Mountains. „Und das war in Denver. Hier mit den Medien in New York ist das eine ganz andere Nummer. Und deshalb versuche ich, den Druck von Kris’ Schultern zu nehmen und ihm zu helfen.“
Es ist erstaunlich, wie sehr sich Carmelo Anthony auf Kristaps Porzingis eingelassen hat. Und wie sehr er sich als Spieler seit dem Beginn dieser Saison verändert hat. Denn Carmelo ist nicht mehr „nur“ ein überragender Scorer, in diesem Jahr bewegt er den Ball so gut wie noch nie. 4,2 Assists sind ein Karriere-Bestwert, die Tendenz zeigt sogar noch weiter nach oben. Mehrmals ist Anthony in diesem Jahr nur knapp an einem Triple-Double vorbeigeschrammt. Undenkbar vor ein oder zwei Jahren. Und nicht nur Kristaps Porzingis merkt, dass Melo sich für das Team aufopfert. „Melo hat immer auf seine Weise gespielt, und wir wissen alle, wie gut er ist“, erklärt Knicks-Shooting-Guard Arron Afflalo, der schon in Denver mit Anthony zusammenspielte. „Aber er vertraut anderen mittlerweile mehr, passt den Ball gut und tut sehr viel für die Mannschaft.“ Dazu- spielt Anthony eine engagierte Defense – was ebenfalls nicht immer der Fall war – und geht mit gutem Beispiel voran. Auch seine Reboundquote ist so gut wie noch nie. Egal ob es an seinen alternden Knien liegt, dass er sich deshalb neu erfindet, oder ob er einfach im Geist die Veränderung mit sich selbst vereinbart hat: Carmelo Anthony ist 2016 ein anderer Spieler. Ein besserer Spieler.
Trotz allem ein Trade-Kandidat?
Damit sollte die Zukunft der Knicks ja eigentlich rosig aussehen. Melo wird zum Teamplayer, und mit Kristaps Porzingis, der auf dem Weg zum Superstar ist, kehren Ruhm und Ehre in den Garden zurück. Fehlanzeige! Nach einem soliden Start in die Saison haben die Knickerbockers eine kräftige Bauchlandung hingelegt. 32 Siegen stehen 50 Niederlagen gegenüber, die Playoffs durfte man sich mal wieder nur im Fernsehen anschauen. Neben Anthony und Porzingis hat der Kader wenig Aufsehenerregendes zu bieten. Doch viel schlimmer ist, dass sich die Franchise in der Schwebe befindet. Die Tatsache, dass sie keinen First-Round-Pick im kommenden Draft haben, und Carmelo Anthonys Monster-Vertrag (läuft noch bis 2019) machen es schwer, den vollen Rebuild um Kristaps Porzingis einzuleiten. Schon oft wurde die Möglichkeit diskutiert, ob es für die Knicks nicht besser wäre, Melo zu traden.
Doch da gibt es ein kleines Hindernis. Phil Jackson hat seinem Superstar eine No-Trade-Clause in seinen Vertrag eingebaut, die Melo die Entscheidungsmacht über jeden potenziellen Trade gibt. Wenn Melo nicht weg will, dann geht er nicht. Und andere Teams wissen sowohl um diese Situation als auch um Melos Gesundheit, was bedeutet, man bekommt für ihn höchstwahrscheinlich eh nicht das, was man erhofft. Spekulationen gibt es natürlich trotzdem täglich, doch damit hat sich Anthony in seinem mittlerweile sechsten Jahr in New York schon lange abgefunden. „Die Leute werden immer viel reden, und die Medien werden viel spekulieren“, so der Small Forward. „Daran habe ich mich gewöhnt. Ich weiß mittlerweile, dass man mich wohl nie zu den wirklich besten Spielern zählen wird, aber das ist schon in Ordnung. Ich träume immer noch von einer Meisterschaft und werde alles daran setzen, dieses Ziel zu erreichen.“
Mit sich selbst und seinem Spiel im Reinen
In seiner gesamte Karriere war Anthony ein Franchise-Player, der unangefochtene Superstar seines Teams. Jetzt kämpft er in seinem Inneren mit einer neuen Realität, in der sein Glanz langsam verblasst und der Traum einer Meisterschaft ihm aus den Händen gleitet. Und in die Hände anderer gelegt wird. Der alte Melo wäre wohl an dieser Situation zerbrochen und hätte schon längst nach einem Trade gefragt. Doch der neue Melo, „Melo 2.0“, engagiert sich mit der neuen Situation. Fürs Erste. „Es sind schwere Zeiten hier in New York, aber ich werde weiter kämpfen“, denkt Anthony nicht daran, zu resignieren. „Was die Zukunft bringt, weiß man nie. Aber ich bin mit mir selbst im Reinen und fühle mich gut da, wo ich bin.“
Carmelo Anthony kann mit seinem Spiel im Reinen sein. Er hat letztendlich doch begriffen, dass er nur als Teil eines Teams, einer Mannschaft, zum Erfolg kommen kann. Man kann nur für ihn hoffen, dass die Erleuchtung nicht ein paar Jahre zu spät kommt.






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